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Man könnte es sich einfach machen nach diesen 112 Minuten voll süßlicher Weihe, seltsamem Zauber und tiefer Leidenschaft von und mit dem totesten Peter Pan der Popmusik. Man könnte die unbarmherzige Logik der Musikindustrie sezieren, in der Verblichene immer schon mehr wert waren als Lebendige, und voraussagen, dass die Liga der posthumen Umsatzträger einen neuen Weltmeister bekommt. Man könnte es kriminell nennen, wie die Drahtzieher dieses abgefeimten Geschäftes das Bild eines vor Lebenstüchtigkeit sprühenden Künstlers weichzeichnen, der in Wahrheit als ein an Körper und Geist erkranktes, medikamentenverseuchtes Häufchen Elend endete.Aber was nutzt es, wenn in 15 Städten weltweit, darunter Berlin, dienstagsnächtens eine Vermarktungsmaschine anhebt, die alle Zweifel über das, was Michael Jackson zuletzt war, sein wollte oder gewesen sein könnte, wie eine Dampfwalze einebnen soll?
„This is it”, das gefilmte So-hätte-es-werden-können eines Comebacks, dem sich Gevatter Tod in den Weg stellte, ist der wohl schamloseste und wirkungsvollste Griff an die Emotionen von Millionen, den die Popgeschichte je gesehen hat. Wer Jackson immer schon verehrt hat, und das sind die meisten, die im Sony-Center am Potsdamer Platz bis morgens um vier ausharren, der wird mit offen stehendem Mund und feuchten Augen staunen und mitsummen und später Trost suchen am heimischen CD-Schacht zwischen „Billy Jean” und „Thriller”. Wem das Männlein mit den Spinnenbeinen gleichgültig war, der wird dem phantastischsten Tänzer aller Zeiten, neben Nurejew und Astaire, drei Kilo Respekt zollen. Vorausgesetzt, man glaubt, was man sieht. Sehen soll. This is it”, was man je nach Lust und Laune mit „Das war’s dann” oder „Das ist es” übersetzen mag, ist ein einziger manipulativ zusammengeschnittener Tätigkeitsnachweis. Regisseur Kenny Ortega hat die in menschenleeren Groß-Arenen Kaliforniens aufgenommenen Bilder der Proben für Jacksons ehedem geplanten 50-Konzert-Marathon in London so montiert, dass nur ein Schluss möglich ist: Die sündhaft teure Rückkehr des „King of Pop” wäre das audiovisuelle Erweckungserlebnis des Jahrzehnts geworden. Jeder Edelstein in seinem Schatzkästchen, ob „Man In The Mirror”, „I’ll Be There”, „Black Or White” oder das immer noch hinreißende „Beat It”, wurde so lange gewienert, bis ein, zwei Karat mehr zum Vorschein kamen. „Smooth Criminal” basteln die Spezialeffektemacher etwa in den Kultfilm „Gilda” ein, mit Jackson an der Seite von Rita Hayworth und Humphrey Bogart. Für „Thriller” wurden eigens neuartige 3-D-Zombies nachgeboren. Dass Jackson mal wie ein verhuschter Guru, mal wie ein herrisch-kreativer Despot agierte, dessen Gedanken zu lesen Mindestanforderung ist, gehört zu den interessantesten Hervorbringungen.Insgesamt aber erweist sich Ortega nicht als Meister im Bewältigen zelluloider Materialberge. Immer dann, wenn ein klitzekleines Stückchen echter Intimität auf der Bühne spürbar wird, wenn der detailversessene Jackson seine ihm ergebenen Jünger mit atemverschlagenden Bewegungen, kurzen A-capella-Intros und „Liebe” in seinen musikalischen Kosmos befehligt, erschlägt der Regisseur uns mit Kamerafahrten voller Pathos. Und einer Heroisierung, die deshalb so verstört, weil in ihr die dunkle Seite der Macht, Stichwort: Medikamentensucht, bis auf merkwürdige Pflaster auf den Fingerspitzen des Meisters komplett ausgeblendet wird.
„This is it” läuft nun 14 Tage lang deutschlandweit in über 900 Kinos. Nach gezielter Verknappung der Ware sehen die Hüter der Verwertungsketten die üblichen Erzeugnisse des Heldenkults vor: DVD mit Pipapo. Am Ende wird Michael Jackson als die lukrativste Ausfallbürgschaft in die Musikgeschichte eingehen. Nach dem Tod ist vor dem Reibach. Das war’s dann. War’s das?
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