Was ist „übrig“ von Hartz IV? Theaterdonner oder vielleicht doch mehr?
Samstag, 10. April 2010, 04:43
Abgelegt unter: Regierung

Berlin (AP) Es war im Bundestagswahlkampf 2002, als der damalige VW-Vorstand Peter Hartz mit großem Getöse seine Vorschläge für Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung übergab. Eine Halbierung der Arbeitslosenzahlen binnen weniger Jahre versprach der Manager. Das weckte Hoffnungen, die aber schnell zerstoben. Was passierte, war das genaue Gegenteil: Die Arbeitslosenzahl schnellte empor. Längst sind die Gewerkschaften über Hartz IV empört, die Arbeitgeber enttäuscht. Die «Jahrhundertreform» hat das Land gespalten.
Kern der Reform ist die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld
Anzeige
II. Die Betreuung der Arbeitslosen wurde damit in eine Hand gelegt und sollte eine bessere Vermittlung gewährleisten.
«Hartz IV hat das gesellschaftliche Klima in diesem Land vergiftet», bilanzierte jüngst DGB-Chef Michael Sommer. Die Wohlfahrtsverbände meinten, außer weniger Geld habe die Reform den Menschen nichts gebracht. Fast sechs Millionen Menschen lebten inzwischen an der Armutsschwelle in Deutschland. Das Wort Unterschicht machte 2006 die Runde. 345 Euro monatlich gibt es für jeden Langzeitarbeitslosen; hinzu kommen Miet- und Heizkosten.
Im Zuge von Hartz IV wurde auch die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I herabgesetzt. Ein Jahr gibt es in der Regel die Versicherungsleistung, ehe die Menschen auf Hartz-IV-Niveau abrutschen. Die Arbeitsmarktreform wurde zum Synonym für den sozialen Abstieg, der alle Klassen und Schichten erfassen kann.
Mit Hartz IV gilt praktisch jede Arbeit als zumutbar. Gemäß dem Motto «Fordern und Fördern» müssen Arbeitslose fast jede Arbeit annehmen, wenn sie nicht ihre Leistungen verlieren wollen. Dazu gehören auch Jobs, die bis zu 30 Prozent unter dem ortsüblichen Lohn liegen. Gegen diese scharfen Regeln liefen die Gewerkschaften Sturm. Sie kritisierten, dass der Druck auf das allgemeine Lohnniveau zunehme und viele Unternehmen das ausnutzten. Bestärkt durch die Erfahrungen der Arbeitsmarktreform wurde ihr Ruf nach einem Mindestlohn lauter. 7.50 Euro Stundenlohn lautet die Gewerkschaftsforderung, mit der sie sich in guter Eintracht mit den westeuropäischen Nachbarn sehen. In insgesamt 18 von 25 EU-Staaten gibt es einen Mindestlohn.
Kurz nach Start der Arbeitsmarktreformen berief der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einen Ombudsrat. Dieser sollte die Umsetzung der Gesetze kritisch begleiten und Missstände ausfindig machen. Als im Sommer 2006 das Gremium – die ehemalige Familienministerin Christine Bergmann, Ex-Chemiegewerkschafter Hermann Rappe und der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf – seinen Abschlussbericht vorlegte, wurde offiziell, was vielen schon vorher klar war.
Als völlig unsinnig kritisierte der Ombudsrat die Strukturen der Arbeitsgemeinschaften, in denen es keine geregelten Verantwortlichkeiten gibt. «Der Vermittlungsausschuss hat bei der Einigung zu Hartz IV leider mehr Unheil als Vernünftiges hervorgebracht», sagte Biedenkopf. Normalerweise sollten örtliche Arbeitsagenturen und Kommunen gleichberechtigt die Arbeitslosen betreuen. In der Praxis gab es aber größte Schwierigkeiten.
Mit Hartz IV waren viele Irrtümer verbunden. So hatte die Regierung erwartet, dass 20 bis 30 Prozent der Arbeitslosen ihren Anspruch auf staatliche Unterstützung verlieren, entweder weil der Partner gut verdient oder sie noch Rücklagen haben. Die Zahl der so genannten Bedarfsgemeinschaften wurde mit 2,5 Millionen angegeben. Tatsächlich gab es aber 3,5 Millionen.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Hinzuverdienstgrenze für Arbeitslose. Von 400 Euro Verdienst können die Arbeitslosen 15 Prozent behalten. Die Devise war: Wer arbeitet, soll das auch im eigenen Portemonnaie spüren. In der Praxis wurden aber viele Jobs vor allem im Niedriglohnbereich unattraktiv. Im Zuge der Evaluierung von Hartz IV will die Regierung die Hinzuverdienstgrenzen deshalb nochmal genau unter die Lupe nehmen.


8 Kommentare bisher • RSS-Feed für KommentareTrackBack URI

Hinterlase deinen Kommentar!

  • BM sagt:

    Was ist übrig? Innere Spaltung unserer Gesellschaft, offensichtliche Ungerechtigkeit:
    -Das Bundessozialgericht entscheidet, 345 € seien genug, man könne davon sogar sporadisch essen gehen! Die Richter scheinen unter Realitätsverlust zu leiden!
    – Ein Ex-Parlamentarier beschwert sich vor Gericht, ihm würden 7000 € monatlich (oder waren es 8000 €?) nicht ausreichen, und das Gericht gibt dem armen Mann recht und spricht ihm weitere 1500 € monatlich zu!

  • mike sagt:

    ALG II funktioniert. Die Arbeitslosenzahlen sind inzwischen gesunken. Etwas verspätet aber doch.
    Es ist sicher hart für jeden einzelnen. Aber es gibt überhaupt keinen sinnvollen Grund, dass früher jemand der einmal einige Tage gearbeitet hatte Arbeitslosenhilfe bekam, jemand der das nicht tat nur Sozialhilfe.
    Das Arbeitslosengeld (I) ist eine Versicherung, hierauf erkauft man sich einen Anspruch durch seine Versicherungsbeiträge.
    ALG II ist ein anderes Wort für Sozialhilfe, man sollte es auch entsprechen benennen. Es ist soziale Wohlfahrt durch den Staat, bezahlt von dem Steuerzahler. Es soll ein Überleben sichern also das wirklich notwendige (und ein klein bisschen mehr). Ich finde man hat keinen Anspruch auf Kosten anderer ein Leben im Überfluß zu führen, sondern auf Kosten anderer zu Leben heißt sich einschränken. Es heißt sich zu begnügen mit dem was man bekommt. Es heißt sich dankbar zu zeigen das man etwas bekommt und zu versuchen (immer wieder) auf eigenen Beinen zu stehen. Es heißt sicher nicht zu meinen man hätte Ansprüche, die die anderen gefälligst mit ihren Geld zu erfüllen haben!
    Es gibt natürlich immer Einzelfälle, die es besonders schwer haben, etwa Menschen mit Behinderungen oder alleinerziehende Mütter. Dort sind Verbesserungen notwendig, etwa durch mehr Kindergartenplätze oder Zuschüsse für Arbeitgeber die Behinderte einstellen. Auch eine höhere Unterstützung wäre hier denkbar.
    Es gibt aber auch Menschen die stur an bestimmten Dingen festhalten, ihren Wohnsitz, ihren Beruf,… und darum keine Arbeit finden. Menschen die meinen der Staat und damit die Steuerzahler müssen ihren einmal erreichten Status quo sicher und erhalten. Das muss er nicht!
    So jetzt könnte Ihr die Daumen senken. An meiner Meinung ändert das nichts.

  • > Beate < sagt:

    Du hast Dir soviel Mühe mit der Frage gegeben, dass uns kaum noch Mühe übrig bleibt. Danke.
    Die Schere geht wirklich immer weiter auseinander. Viel „arm“, weniger „reich“, noch weniger „Mitte“…..
    Die meisten Arbeitslosen suchen trotzdem Arbeit. Erstens, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen und zweitens, weil man irgendwann sein Selbstwertgefühl verliert, wenn man keine „anerkannte Leistung“ bringen kann. Dieser Fakt scheint bei den Planern (und manchen YC usern) nicht bekannt zu sein.

  • Darkzone sagt:

    Hallo
    was ist übrig ..
    Herr Hartz als Betrüger entlarvt..
    ungerechtigkeit für alle die jahrelang Voll gearbeitet und gezahlt haben und nun einen Schlag so tief in die Magengrube bekommen/bekamen
    ARGE Mitarbeiter die nach Gutdünken über wohl und weh einzelner entscheiden ..je nach Bundesland und frei Schnautze und manchmal auch bisweilen schon bösartig sich verhalten ..
    ( es gibt auch eine menge ARGE Mitarbeiter die alles mögliche versuchen und von den Eigenen Regeln behindert und blockiert werden )
    nur noch Verwaltung der Arbeitslosen .. Vermittlung findet dank des Papierkrieges nicht mehr statt..( 2 Mitarbeiter für 2500 Empfänger)
    und kaum Chancen auf eine Arbeitsstelle sobald der Makel HartzIV einmal aufgetaucht ist …
    und Kindergeld wird als Einkommen angerechnet .. klasse
    also Trübsinnige Aussichten wie das Wetter zur zeit
    gruss darkzone

  • Anne sagt:

    Was übrig ist? Viele total verarmte, verzweifelte Menschen!
    Anne

  • krücke sagt:

    was soll man dazu noch sagen, im prinzip hast du dir deine frage doch schon selbst beantwortet!
    und das hartz4 ein ziemlicher schlag für deutschland ist/war, das ist von vorne rein schon offensichtlich gewesen!
    da wird mit zahlen jongliert und nichts anderes. was in der einen kategorie zuviel ist, wird dann eben in eine andere verschoben und schon sieht alles wieder schön aus!
    aber es ist doch auch so, ich kann verstehen, dass menschen in deutschland es vorziehen nicht zu arbeiten, denn ich würde auch nicht arbeiten gehen nur um dann weniger zu haben als vorher! ich kann es verstehen, das bedeutet nicht das ich es gut finde!

  • Dame Edna sagt:

    Hartz I – IV ist der kläglich gescheiterte Versuch, die Ungerechtigkeiten von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe unter einen „gerechteren“ gemeinsamen Hut zu bringen!
    Das Ergebnis ist mehr als nur ernüchternd!
    Die Gleichmacherei hat nicht nur Unzufriedenheit und Frust sie hat auch echtes persönliches Elend mit sich gebracht!
    Da werden alle unter den gleichen Nachttopf gesetzt und mit der sozialen Abrißbirne über den Löffel balbiert!
    Das kann nicht Recht sein! Auch Jahre der Arbeit und der Produktivität haben einen sozialen Wert. Der aber wird in den Mülleimer der Unfähigkeit gekippt, gerührt und dann an alle verteilt, auch und besonders an diejenigen, die nie wirklich gearbeitet haben, keinerlei Beitrag zum Sozialprodukt geleistet haben und auch nicht dazu bereit sind! Das zerredet auch die zwielichtigste „Referentin“ eines „Arbeitslosen“ nicht!
    Wichtig: Hier ist nicht die Rede von denjenigen Menschen, die durch Krankheit, Leiden und/ oder Behinderung verhindert waren und sind! Sie unterliegen in einem Sozialstaat der besonderen Obhut und Fürsorge der Allgemeinheit und damit auch des Staates!

  • Marcia sagt:

    Ja, es stimmt, es ist ziemlich fies, dass Leute, die nie gearbeitet haben und Menschen, die über 30 Jahre den Buckel krumm gemacht haben, wie mein Vater z. B. die gleiche Kohle kriegen.
    Ich bekomme Hartz IV zur Zeit auch (ab Februar habe ich allerdings einen Job). Große Sprünge sind nicht drin. Man kann davon leben, wenn man nicht das Geld für Zigaretten und Alkohol verplempert, aber Urlaub und alles was Spaß macht, ist nicht drin.
    Trotzdem habe ich mir geschworen, dass ich mich nicht von einem Arbeitgeber ausbeuten lasse. Damit ist nämlich auch keinem geholfen. Denn wenn man nur ganz wenig verdient, dann muss man trotzdem zum Amt und zusätzliche Leistungen beantragen. Entweder ich bin beim Amt oder nicht.
    Zum Glück habe ich einen Job im Ausland gefunden, wo ich auch vernünftig und fair bezahlt werde.



Einen Kommentar hinterlassen