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Hundeglück Verena Auffermann, Iso Camartin und andere eine Romanze Junge Eltern können lange und versonnen über Verdauungsvorgänge und Hautbeschaffenheiten im Windelbereich sprechen. Menschen, die keine Eltern sind, kann das irritieren. Liebe macht konkret, für jene aber, die ausserhalb eines bestimmten Liebeszirkels stehen, heisst das: blind. Wer von einem Hund durchs Leben begleitet wird, für den ist die Welt voller Hunde. Besitzer von Zwerghasen aber müssen dies anders sehen; sorgsam schneiden sie zur Speisung den Löwenzahn ab, in dem Hundeliebhaber nur einen Anlass erkennen für ein zierlich gehobenes Bein. Auch die hohe Qualität von Düften ist nicht unabhängig von der emotionalen Teilnahme der Riechenden. Der Geruch einer «Hundepfote» etwa kann für den einen, der an diesem Ort zu riechen, zu lieben versteht, «frisch, erdig, würzig» sein. Und dieser nun darf lesen, nein schmökern und eintauchen in eine Romanze zweier Schreibender und Reisender, zweier eleganter Briefsteller, die sich plaudernd zwischen Frankfurt (von dort schreibt die Literaturkritikerin Verena Auffermann) und Zürich (von hier schickt der Professor für rätoromanische Literatur Iso Camartin seine Post) und auch aus den verschiedenen Feriendomizilen die schönsten Aperçus und Novellen erzählen über den Hund im allgemeinen, den Hund in Kunst und Literatur und über sehr viele Hunde aus dem wirklichen Leben. Von einem halben Hundert Hunden ist in dem Bändchen namentlich die Rede. Verena Auffermann hat den Part der gestandenen Hundekennerin. Die Genealogie ihrer Lebens-Hunde umfasst immerhin sechs starke Individuen (von Bonny, mit dem sie laufen lernte, bis zu Nelke, dem rötlichen Jagdhund, den sie nach dem Tod des alten philosophischen Taps mit dem der Briefwechsel beginnt bei sich aufnimmt). Iso Camartin hingegen existiert noch ohne wahren Hund, nur mit einer kleinen Hundefigur (deren Geschichte zu den schönsten des Buches gehört) und wird erst durch die lebhafte Korrespondentin in die Verlockungen der Hundewelt eingeführt. Der Hochgebildete erfährt eine éducation sentimentale und kann schon bald seiner Dame mit Grazie und literarischem Verstand antworten. Die wiederum kontert mitunter frech, und manch Wort über den Hund wird zum Flirt, der ganz leicht nur durch die Briefe zittert. Wohlerzogen verständigen sie sich en détail über das erste Kopulationsverhalten der Hündin Nelke. Der Hund ist Themen-Bote für Fragen der Sexualität wie der Frauenemanzipation, des Alleinseins und des sozialen Lebens, des Todes. Das Mensch-Sein ist in der Literatur gar nicht so selten ein Hund-Sein (wobei des Pudels Kern einen Sonderfall darstellt). Iso Camartin zitiert den Vorschlag einer existentiellen Metamorphose: «Wollen wir uns beide», so Robert Walser 1903 an seine Schwester Lisa, «zu einer Herrschaft begeben, für unser ganzes Leben, Du als Hausmädchen, ich als Hund.» Und Verena antwortet ihrem Iso gutgelaunt: «Stell Dir vor, ich serviere im Gasthof Schweizerhaus abends Graupensuppe und Salsiz. Du sitzt auf der Kokosmatte an der Tür und bist ein gescheckter Appenzeller, weisst Du, die mit den treuen Augen und langen schlappigen Ohren. Du passt genau auf, dass keiner der Gäste an meiner gestärkten weissen Schleife zieht.» Verena und Iso nehmen uns mit in die Höhenluft der Engadiner und anderer Salons, aber auch auf die etwas schräge Ebene eines «Happy dog»-Hundegeschäfts. Dann wieder führt die Spur der Hunde in die Zürcher «Kronenhalle», wo das wunderbare Wiener Schnitzel über den Tellerrand lappt und der erfahrene Moppel, der Bulgakowsche Hund unter dem Tisch, die begehrliche Speise verschlingt, als Beraterhonorar quasi, nachdem er Iso erklärt hat, welcher charakterlich ausgesuchte Hund sein Lebensbegleiter sein solle. Der aber findet am Ende, nach vielen schwebend skizzierten Hunde-Impressionen und -Imaginationen in der Toskana, einen zugelaufenen Streuner, eigentlich unauffällig von Gestalt, eigentlich hässlich bellend, einen «Caruso», der ihm folgt und auf dessen Gefolgschaft er fortan zu verzichten nicht mehr gewillt ist. Mit diesem Tier-Glück endet der verspielte, anachronistische Briefwechsel, der klingt wie aus fernen Zeiten, da das Briefeschreiben noch geholfen hat, und der sicher nichts ist für moderne Puristen, die nur die Achseln zuckten über Canettis Irritation: «Verwirrende Vorstellung: dass die Unsterblichkeit an einem Haustier gelingt, an einem Hund zum Beispiel.» Angelika Overath Verena Auffermann und Iso Camartin lesen aus ihrem Buch am Sonntag, den 2. März (17 Uhr), im Theater am Neumarkt, Zürich.
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