Holländer will Bürgermeister in Deutschland werden
Sonntag, 25. September 2011, 01:17
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Frans Willeme bewirbt sich um das Bürgermeisteramt in Nordhorn. Aber das wird nicht leicht bei all dem historischen Ballast, gegen den er ankämpfen muss.Er ist ein Grenzgänger. Überzeugter Europäer. Also auch irgendwie Heimatloser. Mit einem großen Lachen. Einem schönen, freundlichen, warmen Holländerlachen. Man kennt das so noch von manchen Skandinaviern. Wir schaffen das ja irgendwie nicht. So zu lachen.Dabei bohrt der Mann gerade ein dickes Brett. Frans Willeme will an diesem Sonntag Bürgermeister werden. In Nordhorn. Niedersachsen, nicht Niederlande. Deutschland. Ein Holländer. Käsekopp. Wohnwagenfahrer. Das geht doch gar nicht.Doch. Hat es zwar noch nie gegeben so einen Fall. Nicht in Deutschland, auch nicht in Europa. Aber es geht. Bei Direktwahlen ist in Niedersachsen jeder wählbar, der zwischen 23 und 64 Jahre alt ist und über einen EU-Pass verfügt. Man braucht hier nicht einmal einen Wohnsitz im Wahlgebiet. Hauptsache, man bekommt die Mehrheit der Stimmen. Das Gesetz will auf diesem Posten Verwaltungsprofis, keine Grußonkel. Der Wähler aber, der hat es natürlich auch gerne warm und weich und deutsch.Frans Willeme muss also mächtig kämpfen in Nordhorn. Gegen die gängigen Vorurteile. Gegen die latente Fremdenfeindlichkeit, die es in Nordhorn ebenso gibt wie nebenan in Holland oder in Hamburg-Poppenbüttel. Es ist ja mehr Angst als Hass, die diese Schwäche nährt. Erst recht in diesen aufgewühlten Euro-Tagen. Ein geeintes Europa, dieser große Gedanke, ist nicht gerade ein Wahlkampfrenner in diesen Tagen. Eher im Gegenteil.Dazu kommt: Konservative haben es in Nordhorn schwer. Hier wählt man am Ende vielleicht doch lieber rot. Sogar die DKP hat noch Sitz und Stimme im Rathaus. Arbeiterstadt, Textilindustrie, Tausende Arbeitsplätze, Weber. Das ist längst vorbei und lange her. Aber der Bürgermeister kommt seit 1986 von der SPD. Und nicht aus Holland. Wo kämen wir denn da hin?Im „Heidekrug“ ist an diesem Tag mal richtig was los. Kein leerer Stuhl im kleinen Saal. Seidenblumenschmuck. Ein Pils dazu. Frans Willeme drückt jedem Gast dieser „Bürgerversammlung“ die Hand. Es ist ein Versuch, jene Distanz zu überwinden, die man auch mit den Händen greifen kann an diesem Abend. Nicht nur, weil sich in diesem Moment zwei Nationen begegnen mit all dem historischen Ballast. Mit Weltkrieg, Pickelhaube und Frank Rijkard. Hier treffen auch jenseits der nationalen Unterschiede zwei Welten aufeinander.Frans Willeme, der jahrelang Bürgermeister gewesen ist in der gerade mal fünf Kilometer entfernten Gemeinde Dinkelland, Niederlande. Der dem Kommunalverband Euregio vorgestanden hat und nebenbei einer der Organisatoren des Pinkpop-Festivals ist, dem traditionsreichsten europäischen Rockpop-Musikfestival. Ein sehr smarter, auch rhetorisch begabter Profipolitiker mit Krawatte und dunklem Anzug, etwas deplatziert zwischen den Freizeitpullundern seiner potenziellen, aber erstmal sehr schweigsamen Wähler hier im „Heidekrug“.Man hätte ja schon gern ein wenig mehr Unterstützung. Von denen da oben, das wäre schön. Es geht nämlich seit geraumer Zeit ziemlich bergab in Klausheide, das zur Gemeinde Nordhorn gehört. Das Gewerbegebiet halbleer, die Geschäfte machen dicht. Supermarkt, Bäcker, nur noch der Schlachter hält die Stellung. Die jungen Leute ziehen auf und davon. Man müsste hier allmählich mal was tun. Das ahnen die Leute. Das fordern sie ein. Von den anderen. Von der Politik. Von Frans Willeme.Es ist eine der Stärken dieses merkwürdig-bemerkenswerten Wanderers zwischen den Welten, dass er sich solchen Momenten nicht ergibt. Dass er auf die Menschen zugehen kann, ohne dabei die billige Hoffnung zu schüren, dass alles besser werden könnte, wenn man ihn denn nur erst mal gewählt hat. Willeme versucht nicht, sich ranzuschmeißen an die geschundene Klausheider Seele. Er hält der Versammlung stattdessen „deen Ssspiegel vor“, wie er selbst es beschreibt in seinem Holländerdeutsch, bei dem man zwangsläufig an Rudi Carrell denken muss, oder an Huub Stevens.„Sie bestimmen, ob es einen Laden gibt in Klausheide. Sie müssen da kaufen. Wenn sie da nicht kaufen, dann gibt es keinen Laden. Sie müssen das selbst in die Hand nehmen.“ Er sagt das nicht nur freundlich, sondern auch provozierend. Helfen würde er dann aber schon. „Wenn Sie das wollen.“ Es ist ein motivierender, auf Eigeninitiative setzender, dennoch warmherziger Politikansatz, den Willeme mitgebracht hat aus Holland nach Nordhorn. Mitfühlenden Liberalismus könnte man das nennen, wenn dieser Begriff hierzulande nicht schon ein paar Mal kräftig gegen die Wand gefahren worden wäre.Es gibt jedenfalls Regierungsparteien in Deutschland, die könnten sich hier richtig was abgucken. Bei dem Holländer, der eigentlich fit genug wäre, um auch ein paar Etagen höher mitzumischen. Der aber nur gerne wieder ein Bürgermeister wäre. Nach diesem Wahlsonntag in der westniedersächsischen Provinz Bürgermeister. Wie kommt er da bloß hin?Das ist nun auch wieder so eine Grenz-Geschichte. Sie führt nach Dinkelland, wo Willeme sich irgendwann mit seinen Stadträten anlegte, und dann nach sehr erfolgreichen Jahren gehen musste als Einzelkämpfer, der er eben auch ist.Und sie führt zu Friedel Witte, der eine gefühlte Ewigkeit Bürgermeister war in Nordhorn. Ein knorriger Kerl, Sozialdemokrat durch und durch. Der aber ganz gut konnte mit seinem christdemokratischen Amtskollegen aus der holländischen Nachbargemeinde Dinkelland, 1994 haben sie zum ersten Mal zusammen einen Kranz niedergelegt, jenseits der Grenze, am „Tag der Befreiung“. Das war ein historischer Moment hier im Grenzland. So etwas verbindet.Schon 2005, bei der letzten Bürgermeisterwahl, hat Friedel Witte, inzwischen Ehrenbürgermeister von Nordhorn, dann versucht, Frans Willeme zu einer Kandidatur diesseits der Grenze zu bewegen. Für die SPD damals. Das ging in die Hose. Der größere Teil der SPD wollte das nämlich gar nicht.2009 standen dann die CDU, deren finanzkräftiger Ableger von der Mittelstandsinitiatve MIT und die Freien Wähler von „Pro Grafschaft“ bei Willeme vor der Tür. Ob er nicht als Bürgermeister kandidieren wolle, 2011 in Nordhorn? Man hatte, wenn man ehrlich mit sich war im konservativen Lager, keinen einzigen gefunden, der auch nur annähernd das Format gehabt hätte, das man sich von Frans Willeme verspricht. Auch die örtliche FDP zog schließlich mit und wirbt jetzt auch, ein wenig halbherzig, für Willeme. Auch bei den Grünen, die keinen eigenen Kandidaten nominiert haben, liebäugelt man mit Willeme.Zumal kein anderer es schafft, für derart viel Unruhe zu sorgen im gegnerischen Lager. Friedel Witte, der Ehren-Sozi, steht nämlich zu seinem niederländischen Ex-Kollegen. Er hat sogar einen Offenen Brief geschrieben an alle Nordhorner, in dem er darum bittet, diesmal Frans Willeme zu wählen, den Holländer, den mit dem konservativen Ticket. Und nicht Thomas Berling, den netten Tierparkchef, den die eigenen Leute aufgestellt haben, die SPD. Das ist für manchen hier nun noch schlimmer als Vaterlandsverrat. Noch schlimmer als einen Holländer aufzustellen. Und das ist ja schon aufregend genug.So aufregend, dass Daniela de Ridder, die SPD-Kandidatin für die parallel angesetzten Landratswahl, in diesen Tagen lieber verschweigt, dass sie in Belgien geboren wurde und beide Pässe hat, den deutschen und den belgischen. Es geht ja auch richtig rund in diesen Tagen in Nordhorn. Man muss sich nur die Leserbriefspalten der lokalen Tageszeitung angucken. Oder, wenn man es gerne etwas deftiger hat, die Leserkommentare auf der Internet-Seite der „Grafschafter Nachrichten“. Man könnte sich darüber schon sehr ärgern als überzeugter Europäer, als einer der versöhnen will, nicht spalten.Frans Willeme hat gerade noch einen Vormittag auf dem Marktplatz der „Blanke“ verbracht, einem Arbeiterstadtteil, dessen Bürger am Ende womöglich den Ausschlag geben bei der Bürgermeisterwahl. Er hat Broschüren verteilt und viele gute Worte gefunden. Es waren wieder Journalisten da. Und Fotografen. Und Fragen. Auch die, warum er sich das eigentlich antut. Mit seinen 58 Jahren, mit seinen drei erwachsenen Kindern, die ihm gleich gesagt haben: „Papa, die Deutschen wählen dich nie.“Jetzt steht er da, unter der Plane der Würstchenbude, ein bisschen allein, ein bisschen melancholisch, aber immer noch optimistisch. „Es ist ja schon besser geworden“, sagt er dann. Zu Beginn seines Wahlkampfes hätten vier von fünf Bürgern seiner Kandidatur mindestens misstrauisch, viele auch offen feindselig gegenübergestanden. Inzwischen sei es gefühlt nur noch jeder zweite. Aber vielleicht ist auch nur die Haut dicker geworden auf den Fahrten zwischen Dinkelland und Nordhorn, fünf Kilometer sind das gerade mal, ein Klacks eigentlich. Und doch Welten. Immer noch. Und wieder.Man spürt das ja auch in den Niederlanden. Gerade in der jungen Generation, erzählt Frans Willeme, werde die Distanz zu den Deutschen wieder größer, der europäische Gedanke verschwimme. Geert Wilders Erfolg sei ein Zeichen dieser Entwicklung.Man könnte vielleicht doch etwas dagegen setzen an diesem Sonntag in Nordhorn.


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