Grüner Schlossherr kämpft im NPD-Land
Sonntag, 25. September 2011, 01:42
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Erst erbt der Berliner Student Constantin Trettler ein Hotel in Mecklenburg-Vorpommern. Jetzt tritt er bei der Landtagswahl an. Was ist da passiert?Es war ein fremdes Land, in das Constantin Trettler vor bald 20 Jahren von seinem Vater mitgenommen wurde. Wochenlang tourte Johann Trettler mit Sohn und Frau durch das damals noch sehr neue Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Im bürgerlichen Berliner Stadtteil Zehlendorf lebte die Familie bis dahin beschaulich. Als „Frontstadtberliner“ hatte man sich auf der Insel eingerichtet. Dann bemächtigte sich der Entdeckergeist der Nachwendejahre des Vaters. „Er wollte ein Schloss kaufen“, erzählt der Sohn. Und das tat er.Die aus dem Westen kamen, waren Entdecker, aber auch Eroberer. Viele kamen, und viele gingen wieder. Wer 20 Jahre später noch da ist, fühlt sich zugehörig und kennt die Region jenseits der eigenen Gartenmauer genau. Die neuen Bürger zeigen Einsatz, sozialen, denkmalpflegerischen, politischen. Wie der 32 Jahre alte Constantin Trettler, der eigentlich ganz andere Pläne hatte.An den Tag, an dem er das erste Mal vor Schloss Kittendorf stand, kann er sich noch gut erinnern. „Ich war 13. Das Schloss lag im Dornröschenschlaf, war überwuchert von Wein, die Farbe blätterte ab.“ Das wird meines, sei seinem Vater sofort klar gewesen. Es wurde seines – aber nur für einige Jahre.Viel Geld, viel Zeit und vielleicht zu viel Energie steckte Johann Trettler in das Gebäude aus dem Jahr 1848. Es wurde wieder das blassgelbe Schmuckstück, das sich der Schinkel-Schüler Friedrich Hitzig im englischen Tudor-Stil ausgedacht hatte. Mit Türmchen und Zinnen, mit Spitzbögen überall und Blumenornamentik, mit Kuppelsälen, einer Orangerie, viel Stuck und edlen Holzböden. Das Schloss ist umgeben von einem Park des berühmten Gartenkünstlers Peter Joseph Lenné, ein Seitenarm der Peene ist darin zu einem Weiher aufgestaut, über den weiße Brücken führen. Johann Trettler wurde Schlossherr, seine Familie aber blieb in Berlin. „Ich hab ihn für verrückt gehalten“, sagt Constantin.Sein Vater entwickelte Kittendorf zu einem Schlosshotel. 2000 Quadratmeter konnte er schließlich nicht allein bewohnen, 100.000 Quadratmeter Park nicht allein pflegen. Währenddessen begann sein Sohn ein Publizistikstudium an der Freien Universität Berlin. Journalist, politische PR, so etwas schwebte ihm vor.2002 dann wurde bei Johann Trettler Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert. Im Jahr darauf lag er meist im Krankenhaus. Sein viertes Uni-Semester verbrachte Constantin nicht in Berlin, sondern in Kittendorf. Er half seinem Vater, übernahm Büroarbeiten, was eben so ging ohne Hotelfachausbildung.Erst damals lernte Constantin Trettler die Region richtig kennen, in der er nun nicht nur Tage, sondern Wochen verbrachte. Junkerland, Bauernland, armes Land. Kittendorf in der herrlichen mecklenburgischen Schweiz hat 200 Einwohner, auf dem kleinen Friedhof liegen die von Oertzens, jene Familie, die vom Schloss aus über Menschen und große Ländereien gebot. Bis Krieg und Sozialismus sie vertrieb.Der Landkreis Demmin, zu dem Kittendorf gehört, trägt seit Jahren eine rote Laterne vor sich her: höchste Arbeitslosigkeit, höchste Abwanderung. Dieses Land ist CDU-Land – und NPD-Land. Auch jetzt, kurz vor der Landtagswahl am 4. September, hat die rechtsradikale Partei die Landschaft verklebt mit Plakaten, auf denen sie „Wehrt euch!“ schreit oder „Kriminelle Ausländer raus“ fordert, wobei „kriminelle“ winzig klein geschrieben ist.Ausgerechnet hier fand sich nach dem Tod seines Vaters 2004 ein eher links denkender Student aus Kreuzberg als Schlossherr wieder; einer, der sich schon als Zwölfjähriger einen Schulverweis eingehandelt hatte, weil er seine Klassenkameraden anstachelte, statt am Unterricht an einer Demo gegen den ersten Irakkrieg teilzunehmen.Später, als Gerhard Schröders erste Amtszeit als Kanzler zu Ende war und kaum jemand ihm eine zweite zutraute, trat Constantin Trettler den Grünen in Kreuzberg bei. „Bilderbuch-Zeiten“ nennt er diese Berliner Jahre, als man sich im Diskurs die Köpfe einschlug.Die vielen neuen Grünen-Mitglieder dieser Tage geben ihm dagegen oft Rätsel auf: „Heute kommen viele der Neuen nicht mehr aus dem linken Spektrum, sind nicht mehr von Herzen Grüne“. Aber Trettler weiß aufgrund seiner Geschichte, dass man es sich mit einfachen Zuschreibungen nicht leicht machen sollte. „Ich passe ja auch in kein Raster“, sagt der grüne Schlossherr.Nach dem Tod des Vaters wurde Trettler also Unternehmer, er trat das Erbe an, auch das Erbe der Schulden. Nebenher studierte er weiter, anfangs war er drei Tage die Woche in Mecklenburg, im Laufe der Jahre sah er Berlin immer seltener. Seine 70-Quadratmeter-Wohnung, die er sich mit einem Mitbewohner teilt, hält er allerdings bis heute. „Es ist für mich die Möglichkeit abzuschalten, rauszukommen.“Zum Studienabschluss fehlt noch die Magisterarbeit. Wo soll die Zeit herkommen? Rund 30 Hochzeiten im Jahr, viele Familienfeiern, Wochenendausflügler und Tagesgäste, Restaurant und Café, das alles will gemanagt werden. Und wer das Tagesangebot auf der Speisekarte studiert – „Steak von Strauß und Antilope als Duett mit Zucchini und Kartoffeln“ – erkennt, dass ein gewisser Anspruch regiert.Mittlerweile finden auch die Dorfbewohner den Weg ins Schloss. Trettler lädt seit Neuestem zum Tanz. Vor wenigen Tagen waren 60 glückliche Gäste da. Ihr Kommen war nicht selbstverständlich, vor allem nicht das der Alten, dafür musste der Berliner Schlossherr erst heimisch werden. „Mein Vater guckte genau, wer sein Schloss betrat, ich halte die Türen immer offen.“Nach dem Krieg hatten sich die ehemaligen Untergebenen die 1000 Schlösser und Herrenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern zu eigen gemacht. Schloss Kittendorf wurde in der DDR Berufsschule, Kindergarten, Internat. Für viele Brandenburger war es deshalb schmerzlich, als nach der Wende neue Herren kamen, die zwar das bauliche Erbe bewahrten, oft auch retteten, gleichzeitig aber oft mit der Attitüde der alten Herren auftraten. Constantin Trettler meidet jedes Schlossherrenpathos. „Schau’n sie sich alles an“, ruft er Touristen zu, die eine Radtour an die Schlosspforte geführt hatte. Und: Er nutzt seine Bekanntheit in der Region politisch.Vor fünf Jahren trat er das erste Mal als grüner Direktkandidat zur Landtagswahl für die Grünen in Demmin an. „Hier ist es viel spannender als in der Hochburg Kreuzberg“, sagt er. Auf dem flachen Land, wo sich die großen Parteien so sehr zurückhalten, kaum Plakate kleben und Infostände aufbauen, wollte er vor allem der NPD nicht die Dörfer überlassen. Als die Rechtsextremen einen Direktkandidaten aufboten, fühlte sich Trettler herausgefordert, ließ sich nominieren. So auch dieses Jahr, wenngleich er weiß, dass die Zahl der Erststimmen am 4. September niemals für den Einzug ins Schweriner Parlament reichen wird.Trettler war einmal der einzige Grüne in Demmin, mittlerweile gibt es fünf. Beim ersten Mal klebte er noch selbst Plakate. „Ich habe sie mit Biokleber aufgezogen. Nach dem ersten Regen lagen alle auf dem Boden.“ Diesmal übernahm eine Agentur die Arbeit. Handzettel verteilt Trettler immer noch selbst. Über Facebook bittet er Berliner Freunde, ihn zu unterstützen. Und sie kommen. So sieht er beim Frühstück auch mal ein vertrautes Gesicht.Die Grünen verlieren langsam ihren Exotenstatus in Mecklenburg-Vorpommern. Nie hatten sie einen Fuß in den Landtag bekommen, scheiterten immer an der Fünfprozenthürde. Diesmal dürfte es gelingen, sie zu überspringen, wenn die Umfragen nicht lügen. Mit ihnen regieren wird wohl keiner. Eine Fortsetzung der großen Koalition aus SPD und CDU ist wahrscheinlich.Constantin Trettler kann sich einstweilen damit begnügen, dass die anderen Parteien grüne Entscheidungen beschließen. Etwa den Bau einer neuen Solaranlage bei Stavenhagen auf einem aufgelassenen Kasernengelände. „Wir haben zwar nicht für den Bau der Anlage stimmen können, aber deshalb können wir sie ja dennoch gut finden“, sagt der Kandidat, als er die Baustelle mit ein paar Kommunal- und Landespolitikern seiner Partei besucht. Auf unübersehbaren elf Hektar reiht sich Modul an Modul. Der Schlosspark ist fast genauso groß.Trettler wird dabei sein, wenn die Anlage in Betrieb geht. Dann kann er endlich gute Nachrichten aus seiner neuen Heimat erzählen: „Wenn die Anlage läuft, wird mein Landkreis Demmin der erste überhaupt sein, der 100 Prozent Energie aus Erneuerbaren gewinnt. Wir sind dann nicht mehr nur die Träger der roten Laterne.“


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