DSK – Sünder, Lebemann und die verfolgte Unschuld
Samstag, 24. September 2011, 21:57
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Dominique Strauss-Kahn spricht erstmals nach seiner Verhaftung im französischen Fernsehen. Er gab den reuigen Sünder ebenso wie den geläuterten Lebemann.Es war der Auftritt, auf den ganz Frankreich gewartet hatte. Am Sonntagabend saß Dominique Strauss-Kahn in der 20-Uhr-Nachrichten-Sendung des Senders TF1 und musste zunächst einmal zwanzig Minuten still halten, während die Moderatorin Claire Chazal einige Rotlicht-Blaulicht-Meldungen und einen Bericht über einen ziemlich langweiligen politischen Auftritt von François Bayrou ansagte.Um sich selbst zu festigen, stützte Strauss-Kahn die Hände vor sich auf den Tisch. Sein Anzug war so düster wie sein Gesichtsausdruck, die Krawatte dunkelblau.Die Moderatorin wandte sich schließlich gegen zwanzig nach acht ihrem Gast zu und stellte jene Frage, die seit dem 14. Mai 2011 drängt: „Können Sie uns heute sagen, was in der Suite 2806 geschehen ist?“ Der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds, den in den USA noch die Zivilklage der Hotelangestellten Nafissatou Diallo und in Frankreich eine Vergewaltigungsklage der Schriftstellerin Tristane Banon erwarten, wollte genau dies natürlich nicht sagen.Er sei „glücklich sprechen zu dürfen“, nachdem sich bereits alle anderen über den Vorfall geäußert hätten, behauptete er. Dann gab er im Groben ungefähr das wieder, was seine Anwälte während des Verfahrens auch bereits gesagt hatten: „Was geschehen ist, beinhaltete weder Gewalt, noch Zwang und keinerlei strafbare Handlung“. Der Staatsanwalt habe dies mit seinem Bericht bestätigt, findet Strauss-Kahn.Dennoch räumte er ein, in den fraglichen sieben Minuten seiner Begegnung mit Nafissatou Diallo in seiner Suite im Hotel Sofitel in Manhattan „eine unangemessene Beziehung“ mit dem Zimmermädchen unterhalten zu haben. Er habe damit seiner Frau und seinen Kindern gegenüber „Schuld“ auf sich geladen, aber auch gegenüber den Franzosen, sagte Strauss-Kahn und bemühte sich dabei, so zerknirscht wie möglich auszusehen.Seine darstellerische Leistung war insgesamt beachtlich, denn es gelang ihm bei seinem 15-minütigen Auftritt den reuigen Sünder ebenso zu geben wie den geläuterten Lebemann. Stellenweise wechselte er aber auch in die Rolle der verfolgten Unschuld.Kurz gab er zudem das Opfer der medialen Hetzmeute, und gegen Ende bot er noch einmal alle Energie auf, um einen kompetenten Politiker und Ökonomen zu mimen, der zwar nicht mehr französischer Präsident werden will – „ich bin offensichtlich nicht Kandidat – der aber den Sieg der Linken wünscht“ und weiterhin politisch arbeiten will.Strauss-Kahn hatte den Bericht des New Yorker Staatsanwaltes Cyrus Vance, in dem dieser im August die Gründe für die Einstellung des Strafverfahrens wegen Vergewaltigung dargelegt hatte, mitgebracht und hielt ihn zur Bekräftigung seiner Ausführungen in die Kamera.Der Bericht gebe ihm keinerlei Schuld an den Verletzungen der Klägerin, sagte Strauss-Kahn und wetterte gegen das französische Magazin „Express“. Das sei zu einem „Revolverblatt“ geworden, weil es die Einlieferungsakte von Nafissatou Diallo im Krankenhaus als medizinischen Bericht ausgegeben habe.Im wirklichen Bericht hingegen „steht nichts“, so Strauss-Kahn. In der Folge verwandte der ehemalige IWF-Chef einige Zeit darauf darzulegen, dass Nafissatou Diallo nicht nur über ihre Vergangenheit gelogen habe, sondern auch gegenüber der Staatsanwaltschaft.Diese habe die Schilderungen des mutmaßlichen Opfers selbst als „surrealistisch“ bezeichnet, sagte er. Diallos gesamte Geschichte sei eine Lüge, erregte sich Strauss-Kahn dann plötzlich. Beim Sprechen schwankte er seltsam zwischen einem scheinbar selbstkritisch-bedröppelten Tonfall und beinah aggressiv wirkender Vorwärtsverteidigung.Ob er die Absicht habe, die Zivilklage von Nafissatou Diallo durch eine finanzielle Einigung mit der Klägerin aus der Welt zu schaffen, fragte Claire Chazal als nächstes und Strauss-Kahn wechselte in eine Rolle die er schon früher gerne gespielt hat: Er gab den Mann von Welt, der den Franzosen eben diese erklärt.Franzosen möge es „seltsam“ vorkommen, dass der Zivilprozess weiter laufe, obwohl das Strafverfahren doch fallen gelassen worden sei, aber in Amerika könne dies eben durchaus der Fall sein, erläuterte der amerika-erfahrene Strauss-Kahn. Die Zivilklage „zeige klar die finanziellen Motive, die hinter der ganzen Angelegenheit stünden“, so Strauss-Kahn weiter. Er erwarte das Verfahren und habe „nicht die Absicht zu verhandeln“.Claire Chazal, die mit Strauss-Kahns Ehefrau Anne Sinclair gut befreundet ist, fragte den ehemaligen IWF-Chef dann, wie er das amerikanische Justizsystem erlebt habe, und ab diesem Moment war der mutmaßliche Täter Strauss-Kahn aus dem Gespräch entlassen und das Interview wurde fortgesetzt mit dem Opfer Strauss-Kahn.Er habe „Angst gehabt“, sagte Dominique Strauss-Kahn „große Angst“. Er sei in Handschellen vorgeführt worden, man habe auf ihm „herum getrampelt“ und ihn „gedemütigt“, bevor er ein Wort habe sagen können. Wenn man in diese Maschine der amerikanischen Justiz hinein gerate, bekäme man den Eindruck, dass „sie einen zermalmen könnte, sagte der 62-jährige. Er habe „viel verloren“, so DSK.Ob er glaube, herein gelegt worden zu sein? Eine „Falle“, das sei schon möglich, meint Strauss-Kahn, vielleicht sogar ein „Komplott“. Das, so ließ er im Ungefähren, werde man noch sehen. Aber seltsam sei schon, dass die Direktion des Sofitel nur der Anklage Informationen geliefert habe, die Zusammenarbeit mit seinen Verteidigern jedoch verweigert habe.Ein hohes Lied sang Strauss-Kahn seiner Ehefrau, Anne Sinclair, welche die Millionenkaution für ihren Mann und die immens hohen Anwalts- und Unterkunftskosten in Manhattan aus ihrem Privatvermögen bestritten hatte.Er habe ein „verrücktes Glück“ eine solch „außergewöhnliche“ Frau zu haben, schwärmte Strauss-Kahn von seiner Gattin. Ohne deren Hilfe hätte er diese Prüfung nie überstanden. Er wisse, dass er „Schlechtes“ getan habe, nahm er sodann die Beichte wieder auf, und er nähme sich dies selbst noch immer übel.Doch, schob er dann geschickt nach, seine Ehefrau hätte ihn nie unterstützt, wenn sie nicht von Anfang an gewusst hätte, dass er unschuldig sei.Was die „Rolle des Geldes“ im amerikanischen Justizsystem betreffe, beantwortete Strauss-Kahn dann eine weitere Frage von Claire Chazal, so sehe er diese auch durchaus kritisch. Indes, habe er in seinem speziellen Fall keine andere Wahl gehabt als sich des Geldes seiner Frau zu bedienen.Schließlich habe man schnell eine Bleibe finden müssen, die den Auflagen der Staatsanwaltschaft entsprach. Die grimmigen New Yorker Eigentümervertretungen hätten ihn jedoch nicht als Nachbarn in ihren Mietshäusern haben wollen, wegen der Journalistenhorden vor der Tür, da blieb nur das Townhouse.„Was wollen sie machen?“, fragte Strauss-Kahn und die geschätzten zwölf Millionen Franzosen, welche die Sendung verfolgten, antworteten vermutlich in diesem Moment alle: „Nee, klar, da muss man dann halt ein Townhouse für 60.000 Dollar im Monat mieten. Geht ja nicht anders.“Das Haus habe ihm im Übrigen überhaupt nicht gefallen, sagte Strauss-Kahn dann noch, und es sei sehr teuer gewesen.Angesprochen auf die in Frankreich noch laufende Klage der Autorin Tristane Banon, die Strauss-Kahn vorwirft, versucht zu haben, sie im Jahr 2003 zu vergewaltigen, wies der verhinderte Präsidentschaftskandidat die Vorwürfe erneut zurück.Er habe gegenüber der Polizei in der vergangenen Woche wiederholt, was er immer gesagt habe, es habe keine „Gewalt“ und keine „Aggression“ gegeben, die Vorwürfe der heute 32-Jährigen seien „phantasiert“. Er habe mit einer Verleumdungsklage geantwortet.Nach einem Bericht des „Figaro“ soll Strauss-Kahn in der vergangenen Woche bei einer polizeilichen Annhörung eingeräumt haben, er habe versucht, die Frau zu küssen, sei jedoch nicht weiter gegangen.Die zahlreichen Berichte, die über sein grenzwertiges Verhalten Frauen gegenüber seit dem Vorfall in Manhattan erschienen sind, bezeichnete Strauss-Kahn als größtenteils „ebenso imaginiert“ wie die Vorwürfe Banons. Zwar könne er verstehen, dass gewisse Fragen zu seinem Verhältnis zu Frauen aufgekommen seien, doch habe ihn „am meisten verletzt“, dass man ihm tatsächlich unterstelle, er habe jemals seine Machtpositionen in seinen Beziehungen zu Frauen ausgenutzt.Das „Gegenteil“ sei der Fall. Was das allerdings bedeuten sollte – haben Frauen also ihre Machtposition gegenüber Strauss-Kahn ausgenutzt? – ließ er vorsichtshalber offen. Die knapp hundert Feministinnen, die vor dem Gebäude des Fernsehsenders TF1 demonstrierten und in Sprechchören „Schäm Dich DSK“ und „TF1 Komplize“, skandierten, werden diese Ausführungen mit Interesse zur Kenntnis genommen haben.„Ich habe teuer bezahlt und bezahle noch“, fuhr Strauss-Kahn im Studio fort. Er habe die „Schmerzen“ gesehen, die er seinem Umfeld bereitet habe und „viel nachgedacht“. Vorläufiges Ergebnis dieses kritischen Selbstreflexionsprozesses sei dies: „Diese Leichtigkeit, die habe ich verloren – und zwar für immer.“Nicht einlassen wollte sich Strauss-Kahn allerdings auf die hobbypsychologische These von Claire Chazal, er habe vielleicht unbewusst absichtlich seine Laufbahn zerstört, um dem Druck zu entkommen. Diese „psychologisierende“ Deutung teile er nicht.Seine Zukunft? Tja. Er habe für die Präsidentschaftswahl kandidieren wollen, sagte Strauss-Kahn nun erstmals öffentlich. „Ich glaubte, dass meine Position beim IWF meinen Blick geschärft hatte und dass ich dabei hätte helfen können, Antworten zu finden. Aber all das liegt hinter mir, ich bin offenkundig nicht Kandidat, auch wenn ich weiterhin glaube, dass der Sieg der Linken notwendig ist.“Als Claire Chazal Strauss-Kahn dann fragte, ob der Euro denn eigentlich noch zu retten sei, schien es für einen kurzen Moment, als habe es die DSK-Affäre nie gegeben und alles sei wie vorher. Strauss-Kahn erklärte mit dem ihm auch auf im Gefängnis Rijkers Island nicht abhanden gekommenden Souveränität mal eben, dass der Euro zwar in Schwierigkeiten, aber nicht verloren sei.In Griechenland sei das Problem halt, dass man die Schulden reduzieren müsse ohne in die Stagnation oder gar die Rezession zu geraten. Mittelfristig führe an der Zusammenführung der europäischen Haushaltspolitik kein Weg vorbei. Jetzt gebe es halt Verluste, die müsse man zu nehmen wissen. Teil des Problems sei, dass die Regierungen nicht entschlossen genug und nicht schnell genug gehandelt hätten.Ob Nicolas Sarkozy da nicht auf der Höhe gewesen sei?, lieferte die Moderatorin ihm darauf eine hübsch suggestive Vorlage und wenn Strauss-Kahn gewollt hätte, hätte er in diesem Moment wieder ein aktiver Politiker werden können.Doch er wollte nicht. „Die Falle ist zu offensichtlich“, grinste er Claire Chazal an. Er wolle weiter politisch arbeiten, so wie er sein ganzes Leben politisch gearbeitet habe. Aber er sei kein Kandidat und er wolle sich nicht in die sozialistischen Vorwahlen einmischen.„Ich werde mich jetzt erholen, die Meinen wiederfinden und mir Zeit zum Nachdenken nehmen.“ Und was dann komme? „On verra“ sagte Strauss-Kahn. Das ist Beckenbauer auf Französisch: „Schau’n mer mal“.


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