Stuttgarter Nachrichten: Luxemburgs Außenminister Asselborn: EU Ist außenpolitisch weder glaubhaft noch effizient Scharfe Kritik an Westerwelles Libyen-Kurs und deutsch-französischer Euro-Währungspolitik
Samstag, 24. September 2011, 17:36
Abgelegt unter: Allgemein

Stuttgart (ots) – Berlin. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sieht die Außenpolitik der Europäischen Union durch den deutschen Libyen-Kurs und die Euro-Währungspolitik gefährdet. Durch die deutsche Enthaltung bei der UN-Abstimmung über den Nato-Militäreinsatz in Libyen habe sich mancherorts ein negatives Potenzial aufbauen können, „dessen Abbau weniger durch Rechtfertigungsthesen oder Reden als durch konkretes Handeln Deutschlands im Rahmen von EU und UN zu bewerkstelligen ist“, sagte Asselborn den Stuttgarter Nachrichten (Montag) mit Blick auf die jüngsten Äußerungen Westerwelles zur Bedeutung des Nato-Militäreinsatzes über Libyen. „Ich zweifle keinen Moment, dass die deutsche Regierung und der deutsche Bundestag dieses auch tun werden.“
Grundsätzlich sei die EU außenpolitisch „weder glaubhaft noch effizient, wenn sich ihre Mitglieder im UN-Sicherheitsrat in kapitalen Fragen nicht zu einer gemeinsamen Position durchringen können. Dann braucht die EU keinen Hohen Beauftragten für ihre Außenpolitik, sondern einen Psychologen zum Frustabbau.“ Politische, also diplomatische Schäden seien nicht immer rationell zu bemessen.
Zur Stabilisierung der Währung in der Euro-Zone erwartet Asselborn von Deutschland, der Einführung von Euro-Bonds zuzustimmen. „Jetzt gilt es zu stabilisieren, Flickarbeit wird nicht reichen – das globale Gewicht der Euro-Zone schon.“ Ausdrücklich kritisierte er die Euro-Politik von Merkel und Frankreichs Präsident. „Auftritte wie die in Deauville, wo Frankreich direkte Sanktionen bei Defizitüberschreitungen im Schilde führte zu verhindern und Deutschland unbedingt eine Beteiligung des Privatsektors beim Schuldenabbau wollte, sind Gift für die EU.“ Hier seien zwei fundamental nationale Interessen zum EU-Interesse dekliniert worden. Würden auch andere Länder das tun, würde die EU ersticken. „Der französische Präsident und die deutsche Kanzlerin haben großen Einfluss, aber noch größere Verantwortung – gerade in der Euro-Frage.“ Die tatsächlich wichtigste Institution – die EU-Kommission – werde von einigen großen Regierungschefs als lästig dargestellt. „Nun, die EU ist nicht die Afrikanische Union, wo sich nur die Staatsoberhäupter produzieren.“
Deutschland könne sie außenpolitisch rehabilitieren, wenn die UN über die Anerkennung Palästinas berieten. „Durch die Bürde seiner Geschichte ist Deutschland in einer einzigartigen Position, den Weg zum Frieden zu zeigen. Es ist im hohen Interesse Israels, wenn ein Palästinenserstaat eine Chance bekäme und beide Staaten sich anerkennten und respektierten.“ Eine mutige Positionierung Deutschlands brächte der EU ein entscheidendes politisches Gewicht, „welches den europäischen Einsatz der Verteidigung der Menschenrechte weltweit zur Ehre gereiche“.
Diese Nachricht steht Ihnen mit Verweis auf die Quelle Stuttgarter Nachrichten (Montag) zur Verfügung.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Asselborn, im Libyen-Konflikt hält der deutsche Außenminister den Beitrag seiner Diplomatie für bedeutender als das militärische Engagement der Nato. Hat er recht? Guido Westerwelle weiß wie wir EU-Außenminister alle, dass Gaddafi zwar nicht mehr regiert vor allem Dank des Willens und der Opferbereitschaft des libyschen Volkes und der Militäroperationen der Nato im Auftrag des UN-Mandats. Aber mit ein paar tausend Anhängern, die bleiben, kann Gaddafi noch unendlich viel Leid anstiften. Die primäre Aufgabe der EU ist es, dem libyschen Volk humanitäre Hilfe zu leisten – Wasser, Medikamente, Energie, Essen.
Die Altkanzler Kohl und Schmidt kritisieren die Außenpolitik der Bundesregierung – sowohl die Enthaltung im UN-Sicherheitsrat als auch die Euro-Währungspolitik. Haben sie recht?
Wenn die amtierende Kanzlerin Merkel sagt, dass jede Zeit ihre Herausforderung hat, hat sie recht. Unnuancierte Pauschalurteile sind gewagt. Es war absolut richtig, dass die Schröder/Fischer-Regierung den Irak-Feldzug der USA nicht bejahte. Es bleibt richtig, dass Deutschland seine Präsenz in Afghanistan auf- und ausbaute, und so dem schwierigsten UN-Mandat folge leistete. Es war richtig, dass die Merkel/Steinmeier-Regierung in einer schwierigen Phase der Beziehungen zwischen den USA und Russland ein positives Verhältnis zu Moskau fand, im Nahen Osten Vermittlungsbereitschaft zeigte und im israelisch-libanesischen Konflikt wie auch bei der UN-Wahlbeobachtung im Kongo Verantwortung in militärischen Operationen übernahm. Deutschland hat in den auf Kohl folgenden Regierungen oft in UN-Mandaten eine höher zu bewertende Qualität zugelegt – und dies zum Vorteil der Verteidigung des internationalen Rechts. Was die Kritik wegen der Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zu Libyen angeht, sollte ein Nicht-Deutscher nicht in der Wunde rühren, sondern helfen, dass sich keine neuen bilden. Ganz grundsätzlich ist die EU außenpolitisch weder glaubhaft noch effizient, wenn sich ihre Mitglieder im UN-Sicherheitsrat in kapitalen Fragen nicht zu einer gemeinsamen Position durchringen können. Dann braucht die EU keinen Hohen Beauftragten für ihre Außenpolitik, sondern einen Psychologen zum Frustabbau.
Gibt es derzeit eine deutsche Außenpolitik?
Wagt man den Schritt, dass es auch für das größte und wirtschaftlich stärkste Land der EU keine Außenpolitik geben kann, die nicht in die EU-Außenpolitik passt, ist die Frage vielleicht falsch gestellt. Sie müsste heißen: Wie wichtig ist Deutschland für die EU-Außenpolitik? Die Antwort kann nur heißen: von kapitaler Wichtigkeit sowohl für die Glaubwürdigkeit als auch für deren Durchsetzungsvermögen.
Wie sehr hat es Deutschland geschadet, sich zum Nato-Militäreinsatz zu enthalten?
Politische, also diplomatische Schäden sind nicht immer rationell zu bemessen. Es gibt die Dimension der innenpolitischen Debatte, wo ich mich nicht hinwagen möchte. In der außenpolitischen Debatte kann sich mancherorts ein negatives Potenzial aufgebaut haben, dessen Abbau weniger durch Rechtfertigungsthesen oder Reden als durch konkretes Handeln Deutschlands im Rahmen von EU und UN zu bewerkstelligen ist. Ich zweifle keinen Moment, dass die deutsche Regierung und der deutsche Bundestag dieses auch tun werden.
Kann sich Deutschland zeitnah außenpolitisch rehabilitieren?
Ja. Deutschland kann schon im kommenden Monat im Nahost-Konflikt eine kapitale Rolle spielen, wenn die Anerkennung Palästinas durch die UN ansteht. Durch die Bürde seiner Geschichte ist Deutschland in einer einzigartigen Position, den Weg zum Frieden zu zeigen. Es ist im hohen Interesse Israels, wenn ein Palästinenserstaat eine Chance bekäme und beide Staaten sich anerkennten und respektierten. Deutschland wie kein anderes Land kann Israel helfen, sich zu öffnen, Friedensgespräche zu ermöglichen, um den Menschen in der Westbank, Ostjerusalem und in Gaza Würde zu bringen und den Israeli dauerhafte Sicherheit. Eine mutige Positionierung Deutschlands brächte der EU ein entscheidendes politisches Gewicht, welches den europäischen Einsatz der Verteidigung der Menschenrechte weltweit zur Ehre gereiche.
Zur Euro-Krise: Bisher waren die Finanzminister der Euro-Gruppe unter Ihrem Premier Juncker für die Details der Euro-Währung zuständig. War es falsch von Merkel und Sarkozy, den Euro zur Chefsache zu machen?
Seit dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages haben die drei großen EU-Länder den EU-Rat als einzige, alles überragende Institution betrachtet. Die tatsächlich wichtigste Institution – die EU-Kommission – wird von einigen großen Regierungschefs als zweitrangig, manchmal gar als lästig dargestellt. Nun, die EU ist nicht die Afrikanische Union, wo sich nur die Staatsoberhäupter produzieren. Auftritte wie die in Deauville, wo Frankreich direkte Sanktionen bei Defizitüberschreitungen im Schilde führte zu verhindern und Deutschland unbedingt eine Beteiligung des Privatsektors beim Schuldenabbau wollte, sind Gift für die EU. Nicht nur für die Substanz, sondern weil hier zwei fundamental nationale Interessen zum EU-Interesse dekliniert wurden. Würden auch andere Länder das tun, würde die EU ersticken. Der französische Präsident und die deutsche Kanzlerin haben großen Einfluss, aber noch größere Verantwortung – gerade in der Euro-Frage! Für Europa aber auch für die eigenen Länder. Was die Beschlüsse zum Euro angeht, ist vieles richtig, was im EU-Rat entschieden wurde. Nur bin ich sicher, dass die EU-Finanzminister den Fehler vermieden hätten, bilaterale Sicherheiten mit Griechenland einzubauen. Das kann uns in den anstehenden nationalen Parlamentsdebatten teuer zu stehen kommen.
Juncker hatte schon 2010 Euro-Bonds vorgeschlagen. Merkel will sie bis heute nicht – warum sind sie richtig?
Als Euro-Gruppenchef stellt er sie nicht zur Debatte um zu provozieren, sondern weil er richtigerweise überzeugt ist, dass sie die entscheidende Stabilität bringen. Auch Ex-Außenminister Steinmeier hat recht, wenn er sagt, gemeinsame Anleihen werden ohnehin kommen – wir sollten sie nicht tabuisieren, sondern die strikten Bedingungen ausarbeiten, denen die Länder unterliegen, die sie beantragen. Die politische Solidarität in der EU hat einen doppelten geschichtlichen Hintergrund. Deutschland hat nach dem Krieg seine positive Gründlichkeit, seinen Fleiß, seinen Willen, nie mehr Katastrophen zu produzieren zum Wohle aller in Europa entwickelt. Länder wie Griechenland, Spanien und Portugal haben diese Chance erst viel später bekommen: aus Diktaturen mussten erst Demokratien werden. Es wurde in einigen dieser Länder gesündigt, aber die starken EU-Wirtschaften, allen voran Deutschland, profitierten enorm von den Ländern im Aufbau. Jetzt gilt es zu stabilisieren, Flickarbeit wird nicht reichen – das globale Gewicht der Euro-Zone schon.
Wie wollen Sie Deutschland umstimmen?
Deutschland wird sich selbst umstimmen. Es geht um sein ureigenes Interessen. Ein Quäntchen intelligentes Gespür für im Grunde genommen eigennützige Solidarität täte gut.
Originaltext: Stuttgarter Nachrichten Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/39937 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_39937.rss2
Pressekontakt: Stuttgarter Nachrichten Chef vom Dienst Joachim Volk Telefon: 0711 / 7205 – 7110 cvd@stn.zgs.de


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