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Eine Spinne in ihrem Haar Martina Hefters Roman «Junge Hunde» Alle paar Jahre erscheint im deutschen Sprachraum ein Buch, das ohne dezidiert politisch zu argumentieren das Klima eines Epochensegments klarsichtig und tiefenscharf erfasst. 1976 ist dies Nicolas Born mit dem Roman «Die erdabgewandte Seite der Geschichte» gelungen, 1982 Bodo Morshäuser mit der «Berliner Simulation», 1995 Christian Kracht mit «Faserland». Solche prägnant-zeittypischen Bücher müssen keine grossen Kunstwerke sein; es sind meistens Grossstadtromane und Ich-Erzählungen, häufig sind sie episodisch strukturiert, und nicht selten funktioniert ihr Plot nach dem einfachen Prinzip «Boy meets girl». Gemeinsam ist ihnen, dass die Sehnsuchtsgeschichten, die sie erzählen, gleichzeitig das gesellschaftliche Klima so präzise spiegeln, dass diese Texte einmal Kassiber aus einer versunkenen Zeit sein könnten: verwittert und unscheinbar auf den ersten Blick, mitteilsam auf den zweiten; spätere Generationen werden aus ihnen entnehmen können, wie das Leben sich für Leute angefühlt hat, die 1976, 1982 oder 1995 in Mitteleuropa jung waren. Ein solches Buch ist auch der Roman «Junge Hunde», das Début der 1966 im Ostallgäu geborenen Martina Hefter. Eine Liebesgeschichte, was sonst; aber sie spielt nicht irgendwo und irgendwann, sondern neun Jahre nach der Wende in Leipzig, und unter der glitzernden Oberfläche kapitalistischer Wonnen, an die man sich gewöhnt hat, verbirgt sich eine kompakte Schicht DDR, die sich nur ab und zu eine Blösse gibt und dennoch die Geschichte subtil grundiert. Dramaturgisch sticht eine Parallele zu Morshäusers «Berliner Simulation» hervor, fast so, als gäbe Martina Hefter zwanzig Jahre später ein Echo auf eine Geschichte, die den Gegensatz der Kulturen und Mentalitäten thematisiert: Dort suchte ein introvertierter junger Mann vor dem brodelnden Hintergrund der Hausbesetzerszene Westberlin nach einer lebenslustigen Amerikanerin ab; hier treffen sich eine Westdeutsche und ein Ostdeutscher in einem Taxi, verlieben sich, verlieren sich aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn, und treffen sich schliesslich wieder. «Girl meets boy»: Denn natürlich hat die Autorin Morshäusers Perspektive zunächst einmal vertauscht; und trotzdem denn geschlechtsspezifisches Verhalten ändert sich auch in zwei Jahrzehnten nicht ohne weiteres ist es eher Vinz, der junge Taxifahrer, der Leipzig nach der Tänzerin Helen absucht, und nicht etwa umgekehrt. Der Leser weiss das nur deshalb so genau, weil die Autorin in einer Art epischer Parallelmontage aus beiden Blickrichtungen berichtet; das könnte ein relativ konventioneller Kunstgriff sein, gäbe es da nicht einen feinen Unterschied: Die Ich-Erzählerin Helen schreibt im üblichen epischen Präteritum, während die Geschichte von Vinz und seinem Freund Fruehling sich in der Gegenwartsform präsentiert. Man könnte, aber muss nicht daraus schliessen, Vinz‘ Geschichte sei so etwas wie eine konkrete Vision der Ich-Erzählerin: Es bleibt offen. Der Perspektivwechsel befreit die Geschichte von jeglicher sentimentalen Fixierung und gibt ihr dafür Dynamik und Spannung. Über Helens Gefühle erfährt man wenig und doch genug. Denn Martina Hefter ist eine wunderbare Erzählerin. Bewundernswert ist allein schon, mit welcher Einfühlungsgabe die Autorin von einer Männerfreundschaft zu berichten weiss. Vor allem aber beherrscht Martina Hefter das Repertoire sparsamer und vielsagender Gesten, die das Seelische ins Körperliche verlagern. Wenn Vinz der noch fremden jungen Frau eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht und sie das mit einem Kichern beantwortet oder wenn er ihr eine (vielleicht imaginäre) Spinne vom Kopf nimmt, so sind das selbstbewusste, deutliche und doch unaufdringliche, behutsame Gesten, mit denen die Autorin mehr zu erzählen weiss als mit tiefenpsychologischen Analysen. Ihre Figuren sind frei von den zähen Verklemmtheiten früherer Epochen; wenn auch sie sich scheu und einsilbig gebärden, muss es andere Gründe dafür geben, die womöglich mit Klugheit zu tun haben: mit dem intuitiven Wissen um die Flüchtigkeit und also die Kostbarkeit des Glücks. Nicolas Born war vor einem Vierteljahrhundert noch heftig mit Enttabuisierungen beschäftigt; das ist vorbei. Helen schläft selbstverständlich mit ihrem WG- Mitbewohner, der sie mit einem nächtlichen Heulkrampf verführt hat, ohne dass dieser Akt im mindesten provokativ wirkt. Lediglich die Begleitumstände des Sex sind betont originell inszeniert und müssen das vielleicht auch sein. Martina Hefters Geschichte hat einen durchaus bodenständigen Charme. Und doch glaubt man buchstäblich seinen Augen nicht zu trauen, wenn Vinz und Helen nach dem glücklichen Wiedersehen fast wortlos ein Paar Mopswelpen in ihrem Körbchen streicheln, jeder seinen eigenen Mops, «eine winzige Spalte zwischen den Hunden, zwischen den Händen». Das Glück ist, nicht nur an dieser Stelle des Romans, mit Händen zu greifen und fällt doch niemandem in den Schoss. Vielleicht bedarf es ja einer winzigen Spalte, einer geringfügigen Abweichung von den allgemein üblichen Verkehrsformen, um das Charakteristische, das Zeittypische einer Fabel und eines Figurenensembles erst wirklich ins Blickfeld zu heben. So sind die Helden des Romans «Junge Hunde» schrecklich normal und zugleich ganz und gar ungewöhnlich. Wenn Vinz tatsächlich einmal eine Art Liebeserklärung über die Lippen bringt, dann unbedingt in «Sechzehntelnotenwerten»: Das ist der Rhythmus unserer Zeit. Und Helen, die hellhörige und feinfühlige Tänzerin, die das Tanzen fast schon aufgegeben hatte, hebt ab. Das Ende dieser Geschichte ist in Moll gehalten und dabei von relativem Optimismus geprägt. Martin Krumbholz
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